Web2Print - Das Ende kreativer Druck-Erzeugnisse?
Einleitung
Web2Print-Systeme bieten meist eine einfache und preiswerte Lösung, um an Visitenkarten, Flyer oder auch Broschüren zu kommen. Auf der anderen Seite gibt es noch einige Vorbehalte gegen solche Lösungen: Kann Web2Print in der kreativen Gestaltung funktionieren, ohne dass das Produkt an Qualität einbüßt?
Web2Print-Systeme stehen demnach in Verdacht, die gestalterische Freiheit für exzellente Druckerzeugnisse aufgrund standardisierter, webtechnologisch abbildbarer Druckvorlagen einzuschränken und somit im schlimmsten Fall die für den Erfolg einer Produkt- oder Marketingkampagne wesentlichen, kreativen Aspekte zu verhindern. Kreativität und Standardisierung stünden sich somit unvereinbar gegenüber und implizieren einen Gegensatz.
Dieser Verdacht kann unserer Auffassung nach entkräftet werden: Web2Print-Systeme schränken weder die Gestaltungsfreiheit ein noch sind deren Ausgabeformate schlechter als manuell erstellte Druckdateien. Vorausgesetzt, die Applikationen berücksichtigen existierende Arbeitsweisen der Designer und die Vorgaben seitens der Druckindustrie. Zudem sind wir der Meinung, dass sich der implizierte Gegensatz zwischen Kreativität und Standardisierung grundsätzlich infrage stellen lässt.
Kreativität versus Standardisierung
Tatsächlich ein Gegensatz?
Ein Gegensatz existiert nur dann, wenn der zeitliche Verlauf ausgeblendet wird: der Verlauf von der kreativen Idee hin zu standardisierten Lösungen und weiter zur nächsten Neuentwicklung. Insofern müssen kreative Ideen und standardisierte Lösungen nicht im Gegensatz zueinander stehen, sondern können sich gegenseitig ergänzen, eventuell in einem fortwährenden Prozess.
Eher eine Koexistenz!
Kreativität beruht auf erkennbaren Abweichungen zur Norm, setzt die Kenntnis von vorherrschenden Normen voraus, bricht mit diesen Vorgaben, fügt sie neu zusammen und spielt mit ihnen. Standardisierung beruht auf gewünschten oder erforderlichen Veränderungen existierender Standards, setzt die Kenntnis infrage gestellter Standards voraus, verändert dann die Vorgaben, fügt sie erneut zusammen und entwickelt diese weiter. Kreativität und Standardisierung sind zusammen maßgebliche Parameter für einen nachhaltigen Erfolg.
Zwischenfazit
Im Zusammenhang mit Web2Print-Systemen ermöglichen Kreativität und Standardisierung die Etablierung standardisierter Druckvorlagen im gesamten Unternehmen, die effektive Abwicklung der Druckprozesse respektive Bearbeitung der Druckdokumente und die effiziente, zeitnahe Verbreitung kreativer Druckerzeugnisse im Markt.
Web2Print – Eine Einführung
Web2Print zu definieren, ist an zahlreichen Stellen erfolglos geschehen. Manche betrachten bereits den Aspekt der Motiv- oder Schriftauswahl für eine Visitenkarte via Webbrowser als Web2Print, manche meinen, dass Web2Print-Systeme die Textverarbeitungs- und DTP-Programme komplett ablösen (Web-Editing) und wieder andere sehen darin nur eine den Endkunden betreffende, optimale Möglichkeit zur Bestellung der personalisierten Kaffeetasse via On-line-Shop mithilfe eines einfachen HTML-Formulars für individuelle Texteingaben. Nichts davon trifft den Kern, keine dieser Definitionen geht auf den kompletten Prozess ein und alle übersehen wesentliche Bestandteile.
Der Begriff Web steht für Vernetzung – in diesem Fall für eine informationstechnologische Lösung zur Zusammenarbeit über verschiedene Unternehmensbereiche und Fachabteilungen hinweg. Der Benutzer/Editor sitzt nicht mehr – durch seine DTP-Anwendung – isoliert am Arbeitsplatzrechner, sondern erhält die Möglichkeit, am Erstellungsprozess zu partizipieren. Kommentare, Rückmeldungen, Korrekturen und Ergänzungen werden umgehend dokumentiert und können rechtzeitig vor dem Druck an die Verantwortlichen weitergeleitet werden. Die Zahl 2 (gesprochen: „to“) innerhalb von Web2Print steht für den betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Prozess von der Druckvorlage bis zur mit Inhalten gefüllten und finalisierten Druckdatei inklusive Übersetzungen, Individualisierungen und anderen Anpassungen. Zudem unterstützten datenbankgestützte Systeme einen medienübergreifenden Einsatz, sprich für verschiedene Ausgabeformate. Auf diese Weise sind derart gepflegte Inhalte nicht allein für eine Druckdatei in Form eines hochauflösenden PDFs verwendbar, sondern auch in anderen (digitalen) Medien und für verschiedene Werbemittel einsetzbar.
Und Print steht schlicht und ergreifend für das Ergebnis in Form verschiedener Druckerzeugnisse. Bei Bedarf kann es zusätzliche, durch Schnittstellen angebundene Systeme geben, die spezielle Aufgaben im gesamten Erstellungsprozess übernehmen. Diese Bestandteile, z. B. zur Benutzerverwaltung und zur Übersetzung (Stichwort: Translation Memory) oder zur Distribution fertiger Druckerzeugnisse (Stichwort: Versandabwicklung und Media-Schaltung) werden hier nicht aufgeführt.
Web2Print-Systeme als komplettes ECMS
Web2Print-Systeme, die antreten, um den kompletten Prozess zur Erstellung, Bearbeitung, Übersetzung, Modifikation und Distribution zu erfassen und abzubilden – ähnlich den am Markt befindlichen Enterprise Content Management (ECM)-Systemen -, kommen in der Regel nur dann in Betracht, wenn ein Unternehmen seine „Content-Produktion“ von Grund auf umstellen will oder muss.
Der Alltag zeigt jedoch, dass es keine Unternehmen mehr gibt, die quasi eine „grüne Wiese“, also eine Freifläche, im IT-Bereich vorgehalten haben, um neue oder weitere „Komplett-Systeme“ installieren zu können. Dass die grüne Wiese auch keine Grundvoraussetzung mehr sein muss, zeigen erfolgreiche Web 2.0-Plattformen, die als eine Art Integrationsraum von bestehenden Technologien und neuen Funktionalitäten fungieren. Diese Plattformen demonstrieren die vorherrschenden Bedingungen für die Implementierung aktueller IT-Lösungen und zugleich die Vorteile für die Anwender. Sie müssen sich nicht für die Anzahl der nötigen Schnittstellen zwischen den Systemen interessieren, sondern zeigen sich begeistert über den Komfort, „alles“ an einem Ort erledigen zu können. Konsistent entwickelte ECM-Systeme und komplette IT-Lösungen „von der Stange“ wären sicherlich schön, gut und eventuell günstig, aber sie können in der Regel nicht jeden Anwendungsfall gleichwertig behandeln und abbilden oder passen nicht in die existierende IT-Landschaft der jeweiligen Unternehmen. Eine Adaption (Stichwort: Customizing) für und eine schnittstellenbasierte Integration in bestehende IT-Landschaften meistens unumgänglich.
Web2Print-Systeme als sinnvolle Ergänzung
Hoch spezialisierte Softwareanwendungen und deren Benutzung durch Fachleute sollen und können – wie innerhalb von umfassend angelegten Web-Editing Lösungen häufig vorzufinden – nicht ohne Weiteres abgelöst werden und gehen nach unserer Erfahrung an den realen Bedürfnissen vorbei. Erst die Sicherheit im Umgang mit DTP-Applikationen durch zum Teil langjährig erworbenes und aufgebautes Know-how lassen Gestalter kreative Ideen in die Tat umsetzen und exzellente Druckerzeugnisse gestalten. Warum sollte also eine informationstechnologische Lösung als reine Ergänzung zur Weiterbearbeitung von Druckvorlagen dieses Know-How außer Acht lassen und durch neue Arbeitsweisen ersetzen? Solange eine Transformation gewährleistet ist, zum Beispiel der Import von Druckvorlagen aus einer DTP-Applikation heraus in ein Web2Print-System, besteht unserer Ansicht nach kein triftiger Grund zur Ablösung dieser etablierter Arbeitsweisen.
Web2Print – ein Beispiel aus der Praxis
Im Folgenden wird zur Veranschaulichung des oben aufgeführten schematisierten Ablaufs ein bei der Firma DKSH implementiertes Web2Print-System zur Bearbeitung einer Broschüre im B2B-Bereich näher beschrieben und illustriert.
1. Gestaltung der Druckvorlage durch die Designabteilung der Agentur in Abstimmung mit dem Auftraggeber und innerhalb der gewohnten Applikationsumgebung.
2. Importieren dieser Ergebnisse in ein Web2Print-System.
Die Druckvorlage wird analysiert und für die Weiterverarbeitung markiert. Mit diesem Tagging, der Zuweisung von Eigenschaften und Metainformationen, kann auf Objektebene jedes einzelne Layoutelement identifiziert und verändert werden. Ein übergeordnetes Mapping stellt dann die abstrahierte Layout- und Contentstruktur dar.
3. Individualisierung der vorgesehenen Layout- und Contentelemente durch die Benutzer aus dem Standort, der Filiale, dem regionalen Marketing, dem Vertrieb oder beim Händler vor Ort.
Noch vor der Bearbeitung bzw. Individualisierung der Inhalte, der Auswahl und Manipulation von einzelnen Bildern bzw. der Eingabe von bestimmten Texten, erfolgt eine Konfiguration der Druckvorlagen, sofern Bestandteile dafür vorgesehen sind. Dies geschieht mithilfe eines HTML-basierten „Wizards“, der den Benutzer bei der zur Verfügung stehenden Auswahl von Stilelementen, Sprachvarianten und Seitenumfängen unterstützt.
Die Struktur des Layouts lässt sich anhand eines Bauplanes abbilden und editieren. Der Bauplan dient als Wegweiser durch die Broschüre und signalisiert die zu editierenden respektive editierbaren Elemente. Jedes Element kann abhängig von vordefinierten Benutzerrechten und -rollen bearbeitet werden.
Die Individualisierung der Druckdokumente kann gegebenenfalls über zuvor festgelegte Segmente (kleinste Gruppierung von Layoutelementen) erfolgen, die in einer „Bibliothek“ hinterlegt worden sind. Konkret bedeutet das, dass der Benutzer sich zunächst eine Seitenstruktur per „Drag & Drop“ zusammensetzt, danach die jeweiligen Textelemente editiert und entsprechende Bildelemente auswählt. Dadurch lassen sich komplett neue Seiten innerhalb eines „genehmigten“ Rahmens zusammenstellen.
4. Je nachdem, welcher Individualisierungsgrad genehmigt wurde – frei wählbare und eigenständig hochladbare Fotos und selbst verfasste Texte im Gegensatz zu zentral eingepflegten und somit kontrollierten Bibliotheken – erfolgt die Abnahme der finalen Druckdatei durch den verantwortlichen Marketing-, Vertriebs- oder Filialleiter vor der Weiterleitung an den Druckbetrieb.
Web2Print – die größte Herausforderung
Unternehmer, Gestalter und Entwickler sollten bei der Einführung von Web2Print-Systemen und der Erstellung von Druckvorlagen berücksichtigen, dass die Druckerzeugnisse zuvor eine webbasierte Bearbeitung durchlaufen müssen. Und zwar mithilfe von Benutzern, die oftmals keinerlei Fachwissen zur Bearbeitung von Druckdateien besitzen.
Zusammenfassung
Unserer Einschätzung nach lassen sich folgende Empfehlungen aussprechen:
- Benutzer eines Web2Print-Systems sollten ohne fremde Hilfe mit den Druckvorlagen arbeiten können und nachvollziehbare, visuelle Rückmeldungen über die (Zwischen-)Ergebnisse erhalten.
- Gestalter sollten erkennen, wann eine Druckvorlage den inhaltlichen Komplexitätsgrad übersteigt. Nicht die technische Machbarkeit gibt den Ausschlag, sondern die Überschaubarkeit der editierbaren Elemente und Inhalte.
- Entwickler sollten erkennen, wann eine Druckvorlage nicht mehr „Web2Print-fähig“ ist. Nicht allein die technische Lösung steht im Vordergrund, sondern ihre Gebrauchstauglichkeit für die Benutzer.
- Unternehmer sollten zusammenfassend Folgendes berücksichtigen: Die Benutzer von Web2Print-Systemen im Unternehmen „erreichen“ Sie über gebrauchstaugliche Druckvorlagen und Editoren. Die Adressaten Ihrer Druckerzeugnisse erreichen sie weiterhin über kreative Botschaften.
- Zu guter Letzt sollte zur Moderation zwischen den Beteiligten und für die Umsetzung sämtlicher Anforderungen auf die Erfahrung und Kompetenz von internen oder externen Usability-Experten zurückgegriffen werden: Immer mit dem Ziel, ein für alle Beteiligten effizientes, effektives und zufrieden stellendes Web2Print-System zu implementieren.
Über die Autoren
Michael Marek und Pietro Triscari kooperieren seit 2004 als Berater und Entwickler für webbasierte B2B-Anwendungen u. a. für das Handelsmarketing im Automobilsektor. Sie kennen sowohl die Konsequenzen bei Einführung von Web2Print-Systemen, als auch deren Potenziale für Unternehmen, Agenturen, Druckereien und IT-Anbieter.