Social Media is a mental prison

Social Media is a mental prison
Tunnelblick - Fußgängertunnel (Spitzbergtunnel), Tübingen

Vorweg: Der Titel ist »geklaut« – Details dazu im letzten Abschnitt dieses Artikels.

Vor geraumer Zeit, im Dezember 2010, habe ich den Artikel »Social Media im Unternehmen« geschrieben und mich zu den Vor- und Nachteilen der Nutzung von sogenannten "sozialen Medien" sowie den Herausforderungen und Möglichkeiten geäußert. Mittlerweile sind mir weitere Aspekte aufgefallen, diesmal mit einem Fokus auf die öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlichen Medienanstalten in Deutschland.

Medienanstalt oder technologisches Netzwerk?

Social Media steht innerhalb Deutschlands, vor allem seit den Präsidentschaftswahlen 2016 in den U.S.A und den Bundestagswahlen 2017, in der zunehmenden, meines Erachtens auch begründeten Kritik. Die Schwächen eines vorrangig durch Algorithmen oder zumindest durch verbesserungsfähige Algorithmen kontrollierten Systems sind offen zu Tage getreten. Facebook selbst scheint dieser Herausforderung nicht mehr gewachsen und versucht nun einen gewagten Spagat. Wenn sie sich vergleichbar mit Verlagen und klassischen Medienanstalten ernsthaft auf die Veröffentlichung von durch Menschen überprüfte Inhalte einlassen, müssen sie akzeptieren, dass dann auch für sie die gleichen Regeln und Vorschriften gelten – Wenn sie das nicht tun, laufen sie hingegen Gefahr als Plattform für die »reine« Bereitstellung und Verbreitung von Informationen nicht mehr ernst genommen zu werden, da keiner mehr den dort bereitgestellten Inhalten vertrauen kann.

„Facebook ist „kein traditionelles Medienunternehmen““, 22. Dezember 2016, Horizont:
http://www.horizont.net/medien/nachrichten/Mark-Zuckerberg-Facebook-ist-kein-traditionelles-Medienunternehmen-145017 [12.02.2018]

Das Facebook mit seinen zuletzt eingeleiteten Schritten derzeit irgendwo dazwischen hängt und man nicht von einem gelungenen Spagat sprechen kann, zeigen unter anderem deren eigenen Veröffentlichungen dazu, die in Sätzen münden, welche jeden aufmerksamen Leser auch nach dreimaligem Lesen ratlos zurücklassen.

„Was wir gegen Hassrede und illegale Inhalte unternehmen“, 21. Dezember 2017, Facebook:
https://de.newsroom.fb.com/news/2017/12/was-wir-gegen-hassrede-und-illegale-inhalte-unternehmen/ [12.02.2018]

Medienanstalten versus Social Media und Suchmaschinen

Eine der ersten immer wieder augenfälliger Beobachtungen ist, dass die Medienanstalten in Deutschland ihre »Hass-Liebe« gegenüber Social Media Netzwerken und insbesondere Google pflegen und hegen. Zahlreiche mehr oder weniger heftig geführte Debatten durch Veröffentlichungen und Re-Kommentierungen zwischen AutorInnen und LeserInnen zu nachfolgenden Themen zeigen dies: Monetarisierung von Inhalten, Netzneutralität, Datenschutz, vermeintliche Fakten beziehungsweise »postfaktische« Tatsachen, Informationen und deren Wahrheitsgehalt auf Facebook, Twitter etc. und in den Suchergebnissen von Google, Verunglimpfungen von Menschen vor einem gerichtlichen Urteil, Beschimpfungen und Beleidigungen von in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten durch rechtsgerichtete oder andere ideologisch getriebene Attacken, der in einer demokratischen Gesellschaft zu führende Diskurs über freie Meinungsäußerung kontra strafrechtlich zu belangenden Verleumdungen… die Aufzählung ließe sich noch weiter fortführen. Eine ausführliche Analyse und gleichzeitige Meinungsäußerung über die Macht und Ohnmacht deutscher Zeitungsverlage und Medienanstalten schrieb Matthias Döpfner bereits 2014:

„Warum wir Google fürchten“, aktualisiert am 16. April 2014, Frankfurter Allgemeine:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/mathias-doepfner-warum-wir-google-fuerchten-12897463.html [12.02.2018]

Öffentliche-rechtliche Medienanstalten in Deutschland

Besonders zwiespältig in ihrer »Hass-Liebe« erscheinen die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten. Mit Hilfe eines durch Pflichtgebühren und Werbeeinahmen finanzierten Systems interessieren hier im Moment nicht die Diskussionen, in wie weit die ARD-Tagesschau mit ihren Meldungen, Artikeln und Nachrichten den angestammten Verlagshäusern zusätzliche Probleme bei der Monetarisierung ihres »Contents« bereiten – das wäre sicherlich einen gesonderten Artikel wert – sondern wie es die zahlreichen, unterschiedlichen Redaktionen innerhalb der ARD und sicherlich auch im ZDF damit halten, dass sie US-amerikanische Unternehmen beziehungsweise deren Plattformen und Angebote häufig gut recherchiert kritisch beleuchten, gleichzeitig aber auf deren Angebote zurückgreifen, diese massiv bewerben und intensiv nutzen, daraus Inhalte verwenden – wenn auch oft mit entsprechenden Vorbehalten zu deren Authentizität und Korrektheit versehen – um dann im selben Moment, um die Kommentierung oder kommunikative Interkation zwischen »Sender und Empfänger« zu bitten. Als zwei von zahlreichen, möglichen Beispielen, welche dieses Verhalten meines Erachtens deutlich an den Tag legen, wird hier lediglich auf die »Weltspiegel«-Redaktionen der ARD-Sendeanstalten und das ZDF-Auslandsjournal verwiesen – Dort finden sich neben den sicherlich immer noch sinnvollen Angeboten zum Teilen(!) von Informationen, auch die Links auf die »eigenen« Seiten bei Twitter, Instagram, Facebook, YouTube und Google+ aber immerhin auch auf die »eigene« Mediathek:

ARD »Weltspiegel«
http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel [12.02.2018]
ZDF »Auslandjournal«
https://www.zdf.de/politik/auslandsjournal [12.02.2018]

Die ARD und das ZDF haben meines Erachtens die eigenen Mittel, die Gelegenheit und das Personal, derartige Seiten beziehungsweise Angebote eigenständig und ohne zur Hilfenahme von privatwirtschaftlichen Konzernen aus den U.S.A zu betreiben – Erst recht, wenn sich mit diversen inländischen Verlagshäusern gütlich einigen und zusammenschließen würden. Ihre aktuellen Mediatheken, ihre Websites und ihre redaktionellen, meist durch einzelne Sendungen beziehungsweise deren MitarbeiterInnen gepflegten Webseiten zeigen, dass es prinzipiell möglich ist und Inhalte keine Mangelware sind. Zudem wäre es nicht mal ein komplett neues Wagnis, denn Erfahrungen mit eigenen Portalen konnten sie bereits in der Zeit sammeln, bevor sie sich Facebook & Co. angeschlossen, spitzer formuliert »ausgeliefert«, haben.

„Studie: Drei Milliarden Euro für ARD und ZDF“, aktualisiert am 11. März 2014, Frankfurter Allgemeine:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/gebuehren-einnahmen-studie-drei-milliarden-euro-fuer-ard-und-zdf-12842330.html [12.02.2018]
„ARD-Vorsitzende Wille zieht selbstkritisch Bilanz“, 27. Dezember 2017, Spiegel Online:
http://www.spiegel.de/kultur/tv/ard-mdr-intendantin-karola-wille-zieht-selbstkritisch-bilanz-ueber-ihren-vorsitz-a-1185132.html [12.02.2018]
„Ein propagandistisches Meisterwerk in öffentlich-rechtlicher Sache“. 9. Dezember 2017, Spiegel Online:
http://www.spiegel.de/spiegel/mathias-doepfner-vom-springer-konzern-ueber-die-ard-a-1182447.html [12.02.2018]

Komfort versus Kontrolle

Wenn Medienanstalten die von amerikanischen Konzernen betriebenen Plattformen kritisch hinterfragen, dann kann ich beim besten Willen nicht verstehen, warum sie dann genau diese Dienste nutzen und bewerben, sich also zum (Marken-)Botschafter dieser Plattformen machen… Es sei denn, es ist einfach bequemer auf die Dienste Dritter zu setzen, als eigene Dienste zu implementieren, zu pflegen und anzubieten. Und genau hier liegt meines Erachtens ein Trugschluss, der durch – zu – kurze bis mittelfristige Planungen entsteht. Was wäre, wenn Facebook Morgen schließt? Kann nicht sein? Gibt es nicht? – Das können nur die behaupten, die zum Beispiel MySpace und Yahoo nicht kennen beziehungsweise nie kennengelernt haben. Während Zeitungen und Zeitschriften zum Teil gewissenhaft dokumentiert und archiviert werden, während Websites soweit als möglich in digitalen Speichern abgelegt werden, so wage ich zu bezweifeln, dass Inhalte aus Facebook-Seiten, -Gruppen usw. nach einem Schließen von Facebook überhaupt noch abrufbar sein werden oder deren Datensicherung und -export wiederaufbereitet zugänglich gemacht werden können. Diese Inhalte werden im digitalen Nirwana verschwinden und eventuell kümmert das zahlreiche private NutzerInnen auch nicht, aber Medienanstalten wie die ARD und das ZDF und Unternehmen, die ein Interesse daran haben dürften, ihre zum Teil teuer gewonnenen, produzierten, übersetzten Inhalte für »immer« zu behalten? Das Risiko Inhalte Dritten zu überlassen und die Kontrolle darüber abzugeben, ist meiner Meinung nach hoch und statt auf kurzfristigen Komfort zu setzen, sollte eine dauerhafte Zugangsmöglichkeit die höchste Priorität besitzen.

Konstruktive Kritik

Damit keine falschen Rückschlusse gezogen werden: Ich betreibe hier keine Medienschelte oder ein komplette Kritik an der Presse im allgemeinen oder besonderen, wie es derzeit einige andere VertreterInnen von extrem befremdlichen Parteien und Organisationen in Deutschland tun, sondern ich möchte ganz im Gegenteil, der Medienlandschaft und explizit den öffentlich-rechtlich, gebühren- und werbefinanzierten Unternehmen Mut machen, – wieder – auf ihre eignen, von ihnen besetzten und kontrollierten Kanäle zur Verbreitung von Botschaften zurückzugreifen und sich eventuell ernsthaft zu überlegen, Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter, Google etc. den Rücken zu kehren. Ängste oder Sorgen über den Verlust von Followern sollten durch die Zuversicht in die eignen Kompetenzen und eine an sich solide Finanzierungsgrundlage ersetzt werden. Ich denke die Zeit ist reif, es jetzt zu wagen und ich könnte mir vorstellen, dass zahlreiche, eventuell auch alle ZuschauerInnen und Zielgruppen über kurz oder (mittel-)lang ihre Informationen, ihre Kommentare ihren Fragen, ihre Rückmeldungen wieder in die Hand derer legen, von den die Inhalte stammen über die gesprochen wird und nicht sich nicht mehr nur auf die verlassen, die diese Inhalte filtern, selektieren oder »ver-algorithmen«.

Mehr-Aufwand!

Mir ist sehr wohl bewusst – und dieses Bewusstsein wird noch verstärkt, wenn ich mir die armseligen, zum Teil extrem unverschämten, keinesfalls selbstkritischen und unangebrachten Kommentare auf einer Website wie zum Beispiel der der Zeit ansehe. Lesen kann ich diese Kommentare schon lange nicht mehr, ohne extreme Zweifel darüber zu hegen, dass ein Großteil der Menschen – zumindest der dortigen KommentatorInnen – nicht mehr in der Lage ist, respektvoll, konstruktiv, gewissenhaft und wenn möglich höflich über ihre Ansichten zu diskutieren. Dass es dabei für die »Inhalte-Ersteller« alles andere als leicht sein dürfte, diesen Kommentar-Eskapaden Herr zu werden, liegt auf der Hand. Doch es wird ganz bestimmt nicht dadurch besser oder erträglicher, wenn ich es Facebook & Co überlasse, diese Aufgaben für mich zu übernehmen und im schlimmsten Fall werden auch meine Rekommentierungen und Antworten auf derartige Kommentare »gefiltert«, da ein Algorithmus – noch lange – nicht in der Lage ist, den Kontext beziehungsweise die Reputation des Verfassers des Re-Kommentars zu bewerten. Er reagiert zunächst nur auf »anstößige« oder gesperrte Wörter – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein Beispiel, was eher schon unerträgliche Kommentare belegt, wird hier stellvertretend für zahlreiche andere, frühere und wahrscheinlich noch kommende »Diskussionen« herangezogen:

„Die Kanzlerin hat verstanden“, 12. Februar 2018, Zeit Online:
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-02/reaktionen-cdu-csu-interview-angela-merkel#comments [12.02.2018]

Kompletter Rückzug?

Social Media als »Imperator« über Inhalte – NEIN

Social Media als »Multiplikator« für Inhalte – JA

Bei dem sich mir aufgedrängten Wortspiel zwischen Imperator und Multiplikator bekommt der spätestens seit den Zeiten Roms allseits bekannte Ausspruch »Divide et impera« im vorliegenden Zusammenhang eine gänzlich neue Dimension. Solange ich Social Media Plattformen zum »teilen« (be-)nutze, kann ich über meine Inhalte »herrschen«. Sobald ich mich mit einer dieser Plattformen verbünden möchte oder Bündnisse mit diesen fördere, indem ich eigene Profile, Seiten, Gruppen etc. anlege und bediene, muss ich mich für einen entscheiden, oder meinen Aufwand noch deutlich erhöhen, um mehrere oder gar alle vermeintlich relevanten Plattformen zu bedienen. Der Weg ist dann vorgeschrieben – Vom Agieren zum Reagieren, vom »Herrscher« zum »Beherrschten«. Und für diejenigen Medien-Verantwortlichen oder auch Marketing-Verantwortlichen, die diese Aufwände und zahlreichen Plattformen noch für beherrschbar halten, empfehle ich den zwar alten, aber immer noch eindrücklichen Artikel zum »Conversation Prism«:

„Social media has changed everything.“, zuletzt aktualisiert 2013, Brian Solis and JESS3, Version 5.0
https://conversationprism.com/ [12.02.2018]

Ausblick

Der Titel des vorliegenden Artikels ist »geklaut«, weswegen ich die Quelle nicht unerwähnt lasse:

„Take The Power Back“, 07. Februar 2018, iA Inc. :
https://ia.net/topics/take-the-power-back/ [12.02.2018]

Das für mich markanteste Zitat daraus lautet:

With the help of Facebook, Google, trolls, AI, bot farms, click farms, persona software, blind hate, cold propaganda, hot ideology and good old greed the tables have been turned. Philosophically speaking, Social Media is a mental prison where Facebook exists to make us believe that Google is still open. (It is not.)“

Doch nicht nur das Zitat, sondern der ganze, dazugehörige Artikel war der Auslöser für die vorliegenden Zeilen. Die VerfasserInnen der iA Inc. beschreiben meines Erachtens genau die Einschätzungen, warum es wieder darum gehen sollte, Autorschaft und Botschafter »in eine Hand zu legen«. Auch wenn sich deren Artikel explizit auf Blogs und weniger auf Websites von Medienanstalten und Unternehmen bezieht, macht er den oben beschriebenen Mechanismus in seiner Gesamtheit deutlich. Eigene Inhalte sollten nicht von unkontrollierbaren oder nicht unter direktem Zugriff liegenden Systemen verwaltet, kopiert, kolportiert, sortiert und »gefiltert« werden. AutorInnen möchten zu jeder Zeit selber entscheiden können, was von ihren Inhalten wo und wie steht. Dazu gehören auch Kleinigkeiten wie zu korrigierende Tippfehler (Besondere Grüße an Twitter), oder die Erscheinungsweise (Frequenz, Land, Ort – Grüße an Facebook) und der Kontext in dem meine Inhalte angezeigt werden (Grüße an Google und YouTube) Und was im Artikel der iA Inc. deutlich wird und meines Erachtens nicht nur für Blogger gilt – die iA Inc. ist im Übrigen selber ein »kleines« Unternehmen – sondern auch für die zwischenzeitlich erwähnten großen »Player« der deutschen Medienlandschaft und zahlreiche nationale Unternehmen, ist der Umstand, dass sich »Produzenten« von Inhalten ihrer Stärken besinnen, sich mit geeigneten IT- und UX-Fachleuten zusammensetzen können und wieder auf eine Form der Selbstbestimmung konzentrieren, besser gesagt auf die Freiheit von Fremdbestimmung; Ein Schelm, wer bei diesem Nachsatz an Anarchie denkt, doch genau genommen ist es exakt das, was ich empfehlen möchte: Anarchistische Bestrebungen gegenüber vorherrschenden Unternehmen – oder wie es die iA. Inc. in ihrem Titel sagen: Take The Power Back.